„Lehrer müssen nicht immer Streit lösen, Schüler können das genauso“

Frust und dicke Luft im Klassenzimmer? Um das Schulklima zu verbessern, lernen Schüler:innen das Streitschlichtungsprogramm kennen. Wie Konfliktlösung auf Augenhöhe stattfinden kann.

von Celina Bischof

Konflikte gehören zum menschlichen Zusammenleben, so wie verbale und körperliche Auseinandersetzungen zum Schulalltag. Doch damit ein Streit gar nicht erst in körperliche Gewalt ausartet, haben Schulen Streitschlichtungsprogramme etabliert. Dafür werden Schüler:innen zu Streitschlichter:innen ausgebildet. Es geht darum, dass „unbeteiligte Personen bei der Klärung von Streit und Konfliktsituationen unterstützen“, schreibt Redakteurin Bettina Kroker auf dem Blog „Betzold“.

Um Streitschlichter:in zu werden, müssen die Kinder und Jugendlichen eine Ausbildung beispielsweise im Rahmen einer Schul-AG absolvieren. Die Lehrkräfte, die für das Streitschlichtungsprogramm qualifiziert sind, bilden die interessierten Schüler:innen aus. Das Deutsche Jugendrotkreuz (JRK) bietet Fortbildungen für Lehrer:innen an, wenn sie das Streitschlichtungskonzept in der Schule einführen wollen. Realschullehrer Marc Herrmann ist seit fünf Jahren beim JRK für das Land Baden-Württemberg tätig und empfiehlt allen Lehrkräften nicht nur auf Schulbücher für die Ausbildung von Streitschlichter:innen zu setzen, sondern Erfahrungen in der Praxis zu sammeln: „Bei unserer Fortbildung gibt es viele Rollenspiele und Tipps für die Umsetzung der Streitschlichtung in der Schule sowie Spiele und Übungen, welche helfen, aus den einzelnen Schüler:innen ein Team zu machen und deren Sozialkompetenzen zu erweitern.“ Das Streitschlichtungsprogramm wird beim JRK seit über 25 Jahren angeboten. Seither werden dort im Landesverband Nordrhein Lehrkräfte ausgebildet. Seit 2020 gibt es das Programm auch zweimal jährlich im Landesverband Baden-Württemberg. Herrmann habe im vergangenen Jahr 2022 eine gute Teilnahme festgestellt. Die Kurse sind auf 15 Personen beschränkt. Laut dem Realschullehrer nehmen in der Regel zwischen sieben und zehn Personen teil. 

Laut der Initiative „Zeichen gegen Mobbing“ ist jede:r zweite Fünftklässler:in in der Schule von Gewalt betroffen. Zwar verhindere die Streitschlichtung keine Strafe bei Konflikten mit Körperverletzung, aber sie könne dabei helfen, dass sich die Konfliktpartner:innen wieder besser verstehen, sagt Herrmann. Das Streitschlichtungsprogramm ist bereits für Grundschulkinder ausgelegt. Schüler:innen können sich freiwillig melden, wenn sie sich dafür interessieren. Auch Elias Perdigones Morán aus Offenbach ist seit der zweiten Klasse Streitschlichter und machte zusammen mit einem Freund die Ausbildung. „Am Ende gab es eine Prüfung, in der sich zwei der Ausbilder streiten und man die gelernten Methoden anwenden muss, um eine Eskalation zu vermeiden“, erzählt der 15-Jährige. Sobald die Streitschlichter:innen ihre Ausbildung bestanden haben, übernehmen sie die Tätigkeit weitestgehend allein. „Nur wenn offen ohne Angst vor Strafen kommuniziert werden kann, funktioniert die Streitschlichtung“, erklärt Herrmann. Autoritätspersonen sollten sich nicht einmischen, da Lehrkräfte oft nur daran interessiert seien, einen Konflikt schnell zu lösen. Meist sei dies jedoch keine nachhaltige Lösung. „Bei der Streitschlichtung werden dagegen auch die nicht erfüllten Bedürfnisse aller Beteiligten in Augenschein genommen.“

Auch die 10-jährige Lejla Kozlica ist seit einem Jahr Streitschlichterin an einer Grundschule in Offenbach und findet das Konzept wichtig: „Lehrer müssen nicht immer Streit lösen, Schüler können das genauso.“ Es gibt jedoch Grenzen, sagt Herrmann. Das seien Konflikte aufgrund von Drogenabhängigkeit oder allgemeinen Suchtverhalten, psychischen Erkrankungen oder grundlegendem Rassismus. Auch bei Mobbing müssten Lehrer:innen eingreifen. In der Streitschlichtung lernen alle Beteiligten, wie sich Konflikte langfristig friedlich lösen lassen. „Da die Lösung von den Konfliktbeteiligten selbst erarbeitet und gefunden wird – also nicht von außen vorgegeben – ist die Lösung dauerhafter“, so Herrmann. Den Schüler:innen soll vermittelt werden, wie sie klar kommunizieren und anderen richtig zuhören. „So kann eine konsequent genutzte Streitschlichtung an Schulen langfristig einen gesamtgesellschaftlichen Beitrag zu einer friedlicheren Gesellschaft leisten.“

(Quelle Titelbild: Canva)