Friedenspädagogik – “Es geht darum, Menschen zu befähigen, sich für Frieden und gewaltfreies Zusammenleben zu engagieren”

Gewaltfrei Konflikte austragen, aber auch Schulen, Familien, Unternehmen und die Politik so ausrichten, dass Menschen gewaltfrei miteinander umgehen können und dem Frieden einen Platz einräumen - all das ist Teil der Friedenspädagogik. Anne Kruck berichtet über ihre Arbeit und erzählt, wie  Erziehung zum Frieden beitragen kann.

von Carla Hornig

Anne Kruck arbeitet an internationalen Projekten und setzt sich dabei aktiv für gewaltfreie Erziehung ein. Dafür leitet sie weltweit Trainings und erstellt Lernmaterialien. Ebenfalls hat sie einen Lehrauftrag für Friedenspädagogik an der Universität Tübingen und arbeitet derzeit für die „Servicestelle Friedensbildung“ und für das Projekt „StArt Friedensbildung“. 

Foto: National-Cancer-Institute/ unsplash

Frau Kruck, wie kann man sich die Arbeit in der Friedenspädagogik vorstellen? 

Anne Kruck: Grundsätzlich geht es darum, die individuellen Fähigkeiten, friedlich miteinander umzugehen, zu vermitteln. Es geht auch um die Frage, wie die einzelnen Institutionen aussehen. Also vermitteln wir Wissen aus der Friedens- und Konfliktforschung, über zum Beispiel Friedensprozesse oder gewaltfreie Friedensbewegungen, um dadurch die Fähigkeiten zu stärken, in den Dialog miteinander zu treten, gewaltfrei zu kommunizieren, auch mal einen Perspektivwechsel zu vollziehen oder sich in den anderen hineinzuversetzen.

Also sozusagen die Friedensfähigkeit der Menschen stärken? 

Anne Kruck: Ja, genau. Es geht darum, die Menschen zu ermutigen und zu befähigen, sich eben auch für Frieden und ein gewaltfreies Zusammenleben zu engagieren. Wissen, handeln und fühlen – diesen Dreiklang versucht die Friedenspädagogik zu erreichen und es geht auch immer wieder um die Frage, wie das funktionieren kann. Es ist immer eine Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Praxis.

Bei dem Wort Pädagogik bezieht sich die erste Assoziation häufig zunächst auf den Umgang mit Kindern und Jugendlichen. Doch sollte sich die Arbeit für Frieden nicht durch alle Altersklassen ziehen? 

Anne Kruck: Genau. Das ist ganz wichtig, dass man nicht denkt, Friedenspädagogik sei etwas, das sich nur mit Kindern beschäftigt. Ich persönlich arbeite ganz viel mit Erwachsenen zusammen. Gerade bei Menschen, die mit Kindern und Jugendlichen zusammenarbeiten, ist es wichtig, mit welcher Haltung sie in ihren pädagogischen Alltag mit Kindern und Jugendlichen hineingehen. Außerdem geht es aber auch um Politiker*innen, die Gesetze und Regeln für das menschliche Zusammenleben gestalten. Friedenspädagogik hat ein ganz breites Spektrum.

Wo überschneiden sich die Friedenspädagogik und die Politik in Ihrer Arbeit? 

Anne Kruck: Es bedarf Richtlinien, die der Friedenspädagogik einen Platz einräumen. Da kommt die Politik ins Spiel. Es braucht die Stelle, an der Menschen wie ich zum Beispiel kontinuierlich an diesem Thema arbeiten können und die Schulen mit Materialien un  Fortbildungen versorgen können. Das heißt, die Friedenspädagogik muss auf die Politik wirken, damit sie Raum kriegen kann.

Sie selbst haben Politikwissenschaft studiert und sich dann auf Friedens- und Konfliktforschung spezialisiert. Was hat Sie an der Arbeit in der Friedenspädagogik begeistert? 

Anne Kruck: Ich habe während meines Studiums schon viel in der politischen Bildung gearbeitet. Ich habe Seminare gegeben für Schülervertretungen und für Menschen, die sich für politische Themen interessieren. Diese Verbindung von Friedens- und Konfliktforschung und die Frage, wie man das mit der Bildungsarbeit verknüpfen kann, hat mir total Spaß gemacht. Der Auslöser für die Friedenspädagogik war die Ausstellung “Peace Counts – Frieden machen” über Menschen, die weltweit Frieden schaffen. Ich fand die Ausstellung so beeindruckend, dass ich darauf auch im Rahmen der Ausstellung Workshops angeboten habe und bin darüber dann dabei geblieben. Es fasziniert mich immer wieder aufs Neue.

Die Ausstellung stellt Friedensmacher*innen der ganzen Welt vor. Inwieweit beinhaltet Ihre Arbeit also auch die internationale Friedenspädagogik ?

Anne Kruck: Das habe ich zu Beginn meiner beruflichen Laufbahn sehr stark verfolgt. Ich habe mit Menschen aus anderen Ländern, meist aus Konfliktregionen zum Beispiel Kolumbien, später Indien, Jordanien oder Iran Fortbildungen gemacht. 

Worum ging es bei diesen Fortbildungen? 

Anne Kruck: Es ging immer um die Frage: Wie kann man Menschen für Friedensarbeit begeistern? Sie so zu motivieren, sich für Frieden in ihrem Umfeld einzusetzen. Da habe ich zum Beispiel Projekte mit Menschen im Bildungsbereich, mit Sozialarbeiter:innen, oder auch mit Uni-Professor:innen gemacht. Es ging um gewaltfreie Erziehung, wie Gewalt im Bildungssystem verringert werden kann und wie man Konflikte gewaltfrei bearbeitet.

Ihr zweites Standbein liegt heute in Deutschland, wo sie hauptsächlich im Rahmen der Servicestelle Friedensbildung für Schulen arbeiten. Wie genau sieht da ihre Arbeit aus? 

Anne Kruck: Wir erstellen für Schulen Angebote. Das geht von Workshops und Fortbildungen mit Schulklassen und Lehrkräften, bis zur Entwicklung von Lernmedien oder Ausstellungen, mit denen man die Themen und den Frieden bearbeiten kann.

Foto: Kenny Eliason/ unsplash

Wie können Schulen oder Lehrkräfte die Friedenspädagogik denn in den Schulalltag integrieren? 

Anne Kruck: Wir haben jetzt in der Servicestelle Friedensbildung seit zwei Jahren einzelne Schulen auch länger dabei begleitet, Modellschule für Friedensbildung zu werden und haben ein Bausteinmodell entwickelt, das die Schulen innerhalb von zwei Jahren umsetzen können. Da geht es auch darum, wie man Friedensbildung im Unterricht in verschiedenen Fächern integrieren kann. Zum Beispiel in Geschichte etwas über Friedensbewegungen lernen oder in Physik ethische Fragen zu Atomwaffen stellen. Wichtig ist, wenn sich eine Schule auf so einen Weg machen will, dass das eben nicht nur von einzelnen Fachlehrer:innen umgesetzt wird, sondern dass es ein Gesamtkonzept gibt und der Leitwert Frieden in einem Schulleitbild verankert ist.

Also werden auch die Schüler:innen selbst aktiv in dieses Gesamtkonzept einbezogen?

Anne Kruck: Ja, da gibt es Programme wie zum Beispiel “Die Streitschlichter:innen” mit denen Kinder und Jugendliche lernen, mit Konflikten umzugehen und die Fähigkeit erlangen, diese unter sich zu klären. Außerdem gibt es Austauschprogramme mit anderen Ländern, die zur Völkerverständigung der Schüler:innen beitragen.

Im Februar 2022 begann der Krieg gegen die Ukraine. Ist in solchen Zeiten die Friedenspädagogik besonders wichtig? 

Anne Kruck: Gerade angesichts des Krieges in der Ukraine haben wir wieder gemerkt, dass es einen wahnsinnigen Bedarf an friedenspädagogischen Angeboten gibt. Wir hatten nie so viele Anfragen für Workshops und Vorträge an Schulen, und die Zahl der Fragen war enorm, weil die Kinder und Jugendlichen sich natürlich gefragt haben, was da gerade passiert. Es war ein großes Bedürfnis nach Sachwissen und nach Informationen, aber eben auch nach Sicherheit durch die aufkommenden Ängste. 

Was waren das für Fragen, die sich die Kinder gestellt haben? 

Anne Kruck: Es waren Fragen, wie zum Beispiel, ob jetzt der dritte Weltkrieg droht oder Putin auch Deutschland angreifen könnte. Danach kam immer die Frage: “Und was können wir jetzt tun?

Also hatten die Kinder und Jugendlichen das Bedürfnis, aktiv etwas für den Frieden zu tun. Wie setzt die Friedenspädagogik da an? 

Anne Kruck: Etwas gegen die Hilflosigkeit tun. Da kann und muss die Friedenspädagogik viele Angebote machen, um diesen Bedürfnissen Rechnung zu tragen. Sie kann Information oder einen Austausch und Handlungsmöglichkeiten aufzeigen. Viele Lehrkräfte berichteten, dass es Kindern schon enorm geholfen habe, etwas gegen dieses Ohnmachtsgefühl zu tun  – und wenn es nur das Waffeln backen für Spenden ist – dass sie sich selbstwirksam fühlen.

Welche Chancen sehen Sie in Zukunft noch in der Friedenspädagogik? 

Anne Kruck: Wenn es solche Modellprojekte gibt, gibt es auch immer wieder Leute, die solche Projekte wahrnehmen und die das inspiriert. Ich sehe auch gerade, dass es trotz knapper Kassen eine sehr große Offenheit gibt, Friedensbildung zu betreiben und zu stärken. In diesen Zeiten finden das viele Menschen sehr wichtig. Die Gefahr ist immer, dass die Ressourcen fehlen, um das umzusetzen. Wenn man aber aufzeigen kann, dass es Schüler:innen und Lehrer:innen hilft und die Arbeit leichter macht, dann glaube ich, hat die Friedenspädagogik große Chancen. Es gibt auch immer mehr internationale Beispiele, bei denen es Erfolge gibt. In vielen Ländern ist die Friedensbildung auch Thema in den Schulen und das macht mir große Hoffnung.

(Quelle Titelbild: Element5 Digital / unsplash)

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