Yoga ist eine indische Lehre, die Körper und Geist zusammenbringt. Das Wort stammt aus dem Sanskrit und kann mit “Einheit” übersetzt werden. Traditionell ist Yoga mit einer Kombination aus Meditation und verschiedenen Übungen, den sogenannten Asanas, mehr Philosophie als Sport. Doch sich nur auf eine Sache zu fokussieren und etwas langsam zu tun, ist in dieser schnelllebigen Zeit des Multitaskings ungewohnt.
von Maike Dorn
Ich rolle meine Yogamatte aus, zünde eine Duftkerze an und stelle meine Teetasse neben die Matte auf den Boden, damit ich ab und zu einen Schluck nehmen kann. Diese Rituale helfen mir dabei, zur Ruhe zu kommen. Ich setze mich im Schneidersitz auf die Matte – für die Anfangsmeditation. Mein Körper fühlt sich verspannt an und ich merke, dass ich die Zähne wieder so fest zusammenbeiße. Ich versuche meinen Kiefer zu entspannen. Außerdem fällt mir meine krumme Haltung auf, also strecke ich den Rücken und setze mich gerade hin. Ich lege die Hände mit nach oben gerichteten Handflächen auf die Knie und schließe die Augen.
Zu laut, zu viel
Wenn ich gestresst bin, fühle ich mich innerlich unruhig. Meine Gedanken sind zu laut und ich beschalle mich mit Lärm, der sie übertönt. Beim Autofahren höre ich Musik, zu Hause höre ich Podcasts und kurz bevor ich schlafen gehe, versacke ich bei Instagram. Doch zwischendurch denke ich trotzdem an alles, was ich noch erledigen muss. Dringende Unterlagen, dringende Telefonate, dringende E-Mails. Manchmal rennen meine Gedanken davon. Ich denke an alle unerledigten Dinge auf einmal, spiele Worst-Case-Szenarien durch, bin sauer auf mich, weil ich prokrastiniere und zusätzlich fällt mir ein, dass ich viel zu lange nicht mehr beim Zahnarzt war. Manchmal ist alles zu laut, zu viel. Stress entsteht im Kopf. In den letzten Tagen war ich immer joggen, wenn ich das Bedürfnis nach Bewegung hatte. Wenn die Gedanken unaufhörlich rattern und der Körper permanent unter Spannung steht, ist gedankenloses Laufen mit lauter Musik in den Ohren einfacher, als Ruhe und Stille zuzulassen. Doch genau dann, wenn ich Stille unbedingt vermeiden will, brauche ich sie am meisten.
Weghören, loslassen
Einatmen, ausatmen. Bei der Anfangsmeditation geht es nicht darum, Gedanken gänzlich abzuschalten. Den unablässig fließenden Gedankenstrom kann niemand bewusst unterbrechen. Einatmen, ausatmen. In der Meditation entscheide ich mich jedoch dafür, ihm keine Aufmerksamkeit zu schenken. Gedanken kommen und ich lasse sie vorbeiziehen, wie die Wolken am Himmel. Einatmen, ausatmen. Dem inneren Monolog muss ich nicht immer zuhören. Die Realität liegt weit außerhalb meiner Kontrolle. Einatmen, Ausatmen. Meine Gedanken haben wenig Einfluss auf das Weltgeschehen, jedoch haben sie viel Einfluss auf mich. Das Ziel der Meditation ist die Erkenntnis, dass ich nicht identisch mit der Stimme meiner Gedanken bin. Einatmen, Ausatmen. Ich bin nicht länger damit beschäftigt, was in meinem Kopf passiert. Jetzt will ich mein Bewusstsein auf meinen Körper richten. Einatmen, ausatmen. Es geht darum, einen Schritt zurückzugehen und die Rolle einer Beobachterin einzunehmen. Es geht um Bewusstsein und Wahrnehmung. Einatmen, Ausatmen. Die Atmung ist der Anker. Beim Yoga ist jede Bewegung an die Atmung gebunden.
Einatmen, Strecken. Ausatmen, Entspannen. Einatmen, Dehnen. Ausatmen, Entspannen. Der Anfang ist eine Bestandsaufnahme. Wie beweglich fühle ich mich heute? Was tut mir weh? Was fühlt sich besonders angespannt an? Danach entscheide ich, wie es weitergeht. Ich zwinge mich nicht durch das immer gleiche Programm und ich turne kein Video einer Fitness-Youtuberin nach. Ich kenne die Übungen und Abläufe mittlerweile auswendig und mache das, was sich gut anfühlt. Zuerst der Sonnengruß – eine Abfolge von Übungen, die den Kreislauf in Schwung bringen. Schon nach dem ersten Durchgang ist mir sehr warm. Ich führe gleich mehrere Durchgänge hintereinander aus, denn die Sonne kann man nicht oft genug grüßen. Heute bin ich müde und habe wenig Kraft. Was zu anstrengend ist, lasse ich aus. Ich zwinge mich zu nichts, denn es gibt nichts zu erreichen, keinen Erfolg, kein Ziel. Nach ein paar weiteren Übungen bin ich fast am Ende. Die anstrengendste Übung – das Rad – habe ich für den Schluss aufgehoben, denn ich weiß, dass danach gleich die Endentspannung folgen wird. Schließlich liege ich flach auf dem Rücken, Arme und Beine von mir gestreckt.
Im Alltag lasse ich die Endentspannung häufig weg, weil ich mir keine Zeit dafür nehmen kann. Ich weiß, dass das ein Fehler ist. Eine meiner früheren Yogalehrerinnen sagte einmal, die Entspannung am Ende sei das Wichtigste. Die Übungen, das Verrenken, Halten, Strecken und Dehnen – das alles mache man nur für die Entspannung am Ende. Für diesen Moment, in dem der Körper auf der Matte liegt und so tiefenentspannt und schwer ist, dass er mit dem Untergrund verschmelzen könnte. Einen Moment lang nichts tun, nichts denken und einfach sein, ohne das Bedürfnis zu haben, die eigene Existenz mit Sinn zu füllen. Für diese paar Minuten Frieden.
(Quelle Titelbild: Conscious Design / unsplash)
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